Das archetypische Wesen des Kriegers hat eine unerlöste und eine erlöste Form.
Denken wir an einen Krieger, so denken viele zuerst an ein brutales, mordendes Wesen. Bereit zu töten – für eine Ideologie, einen Führer oder aus Rache. Das ist der unerlöste Krieger. Er ist gefangen in einem Spaltungsbewusstsein: ich gegen die Welt. Er ist unausgeglichen und verkörpert nur einen Teil des männlichen Pols, der aktiv und nach außen gerichtet ist. Auf diese Weise wird er leicht von Anführern ausgenutzt und für ihre Kriege missbraucht. Getrieben von einem Feindbild, das ihm eingeimpft wurde, hat er jedes Gefühl und Empathie für seine Mitmenschen verloren. Dabei wird der Feind systematisch herabgewürdigt und ihm die Menschenwürde aberkannt; etwa durch Karikaturen, Schimpfworte, Propaganda oder manipulative Erzählungen, die Angst, Spaltung und Hass schüren. Durch gezielte Verzerrung von Fakten und der Entmenschlichung des Gegners, kann dieser schließlich ohne Mitgefühl und Skrupel niedergeschlagen werden.
Nach der Schlacht betäubt sich der unerlöste Krieger mit Alkohol, Drogen oder anderen Mitteln, um seinen Schmerz zu verdrängen. Doch die Wunden heilen nicht. Der unerlöste Krieger trägt sie als unbewältigte Erfahrungen und Energien in sich. Sie manifestieren sich zunehmend in körperlichen Symptomen und führen häufig zu einem frühen Tod. Im Alter oder im Sterbeprozess holen ihn die unterdrückten Traumata unaufhaltsam ein. Er wird geplagt von posttraumatischen Belastungsstörungen und den damit einhergehenden Leiden. Es ist ein verzweifelter Versuch des Körpers, die in Verspannungen und anderen Symptomen gespeicherten Erfahrungen zu verarbeiten, zu durchleben und schließlich loszulassen. Doch wird dieser Prozess durch Medikamente, Verdrängung oder Sturheit unterdrückt, gibt der Krieger einen Teil seiner ungeheilten Wunden als transgenerationales Trauma an seine Nachfahren weiter. Es lebt, oft gut verborgen in unbewussten Mustern, von Generation zu Generation weiter – solange, bis es schließlich ans Licht gebracht und geheilt wird. Diese schädlichen Kreisläufe prägen unsere Gesellschaft seit Jahrhunderten.
Der erlöste Krieger hingegen ist erwacht und erkennt, dass sich der wahre Feind nicht im Außen befindet, sondern in ihm selbst liegt. Das Ringen mit dem Feind wird zu einem Kampf mit den inneren Dämonen. So heilt er alte Traumata – auch solche, die Generationen zurückreichen – und verwandelt seine Wunden in Weisheit. Er handelt aus einem Bewusstsein der Einheit: ich bin die Welt. Dadurch entsteht großer Mut in ihm. Er versteht, dass das Leben ihm seine inneren Baustellen widerspiegelt und nimmt die Prüfungen an, die es ihm schickt. Er fragt: “Warum habe ich mir das in mein Leben gezogen? Was kann mich das lehren? Wie kann ich daran wachsen?” Das Heilen von schädlichen Gewohnheiten und das Loslassen der eigenen lähmenden Muster gehört zu den Schlachten des Kriegers der heutigen Zeit. Er vergibt seinen Peinigern, umarmt seine Angst als Lehrer und begegnet selbst den im Außen wirkenden dunklen Mächten mit Dankbarkeit – als Chance, durch sie zu wachsen. Aber der erlöste Krieger bleibt nicht beim bloßen Erkennen stehen. Er handelt und übernimmt Verantwortung für sich selbst und sein Umfeld. Anstatt sich über die Welt zu beklagen, wird er zum Vorbild und lebt seine Vision. Neben viel Mut braucht er dafür eine dicke Haut, um auch manchmal gegen den Strom zu schwimmen und Diffamierungen und Verurteilungen auszuhalten.
Ich will dir nichts vormachen: Menschen werden sich vermutlich angegriffen fühlen, wenn du dich selbst ermächtigst. Sie werden dich vielleicht verurteilen und dich kleinhalten wollen, denn du triggerst das Gefühl ihrer eigenen Ohnmacht und spiegelst ihre Schatten. Wahrscheinlich bist du dann auch erstaunt, wer deine wahren Freunde sind und wer nicht. Es ist also ein Schritt ins Ungewisse. Doch so werden Krieger geboren: nicht auf der Suche nach Bequemlichkeit, sondern im Kampf gegen die Grenzen in sich selbst.
Der erlöste Krieger ist präsent und mit seiner Intuition verbunden und handelt danach, nutzt jedoch auch seinen Verstand, um sein Verhalten und seine Erfahrungen zu reflektieren sowie um zu planen. Somit verkörpert er den weiblichen und den männlichen Pol und strebt nach Einheit und Balance. Er geht den Weg der Mitte, anstatt sich in Polaritäten zu verfangen.
